Im Nachgang zur 84. Jahrestagung der Gilde Soziale Arbeit stellt das Gildeamt nunmehr der Öffentlichkeit die Bielefelder Erklärung 2025 „100 Jahre Gilde Soziale Arbeit – 80 Jahre Befreiung vom Faschismus“ vor:
1925 schlossen sich jugendbewegte Akteur*innen, die in der Sozialen Arbeit beruflich oder ehrenamtlich tätig waren, zur Gilde Soziale Arbeit zusammen. Gemeinsames Anliegen war es, sich mit den drängenden sozialen Fragen der Zeit auseinanderzusetzen und soziale Missstände zu bekämpfen. Dieses Anliegen hat, trotz aller Brüche und Wandlungen, bis heute Bestand: im Einsatz für soziale Gerechtigkeit, Solidarität und professionelle Hilfe für Menschen in Not.
Im Jahr 2025, begeht die Gilde Soziale Arbeit ihr 100-jähriges Jubiläum. Gleichzeitig erinnern wir an 80 Jahre Ende des Zweiten Weltkriegs, nachdem Truppen der Alliierten das nationalsozialistische Deutschland militärisch besiegten und damit die Menschen-sortierenden und -vernichtenden Praktiken des NS-Regimes beendeten.
Fragen nach angemessenen Formen des Erinnerns und der (selbst)kritischen Auseinandersetzung sowie der Verantwortungsübernahme sind nach wie vor virulent. Auch die Frage der Anerkennung unterschiedlicher Betroffenen-Perspektiven ist einer steten (Neu-)Aushandlung unterworfen. Die Aushandlung erfordert dabei immer, alle Betroffenen gleichrangig zu beteiligen.
Auch Soziale Arbeit, deren Verstrickung, Mitwirkung und systemstabilisierende Funktion im NS mittlerweile nachgezeichnet worden sind, muss sich den entsprechenden Fragen und Auseinandersetzungen stellen.
Soziale Arbeit fand und findet nie im luftleeren Raum statt. Ihre Akteur*innen wurden vom NS-Regime verfolgt, ins Exil getrieben oder ermordet; sie engagierten sich im Widerstand gegen das NS-Regime, waren aber auch Täter*innen, Mitläufer*innen und Befürworter*innen.
Methoden der Kategorisierung, staatlich organisierte Aussonderung und Ausschließung sowie diskriminierende und stigmatisierende Praxen wurden im NS-Regime zu einer gewaltvollen und vernichtenden Umsetzung gebracht. Gewisse Kontinuitäten sind in die Geschichte der Sozialen Arbeit eingeschrieben und bis heute wirksam.
„Nie wieder ist jetzt“ darf nicht bloßer Sprechakt oder Phrase bleiben, sondern es bedeutet, „die Gegenwart so einzurichten, dass sich die Vergangenheit nicht wiederholt“ (Czollek/Haruna-Oelker/Sahebi 2025: Wer entscheidet, wie erinnert werden darf? In: ZEIT Online, https://www.zeit.de/kultur/2025-02/attentat-hanau-gedenken-erinnerungskultur-verantwortung-opfer).
Die aktuellen Entwicklungen – von einem Höchststand rechter Gewalttaten in Deutschland über das rasante Erstarken völkischer Parteien sowie nationalistischer und autoritärer Bewegungen weltweit bis hin zu unzähligen Menschenrechtsverletzungen und Begrenzungen des Rechts auf Asyl – machen deutlich, wie brüchig und widersprüchlich bisherige Politiken des Erinnerns oft geblieben sind.
Wenn Soziale Arbeit aus ihrer Geschichte für die Gegenwart lernen will, bedeutet dies, auch die eigene Geschichte weiter aufzuarbeiten bzw. zu bearbeiten sowie deren Bedeutung und deren (Nach-)Wirkung für die Gegenwart zu verstehen. Es bedeutet auch ein Sich-Einmischen, ein klares Sich-Positionieren gegen soziale Ungerechtigkeit und Menschenrechtsverletzungen, ein Sich-Verbünden und Solidarisieren – auch außerhalb eigener Erfahrungshorizonte.
Soziale Arbeit ist niemals neutral, sie muss sich angesichts ihres normativ-ethischen Selbstverständnisses den gesellschaftlichen und sozialen Verwerfungen stellen.
Man kann nicht oft genug darauf hinweisen:
Kernaufgabe Sozialer Arbeit ist die Förderung und Unterstützung gesellschaftlicher und sozialer Entwicklungen im Sinne eines demokratischen Gemeinwesens sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung der Menschen.
Die Grundlage dafür ist die unbedingte Achtung der Menschenwürde. Die Achtung von Heterogenität, von Prinzipien sozialer Gerechtigkeit und der Menschenrechte – in einem Horizont gemeinsamer Verantwortung und radikaler Solidarität.
Wir, die Gilde Soziale Arbeit, feiern 100 Jahre bewegte und widersprüchliche Geschichte.
Wir erinnern uns an Vergangenes, reflektieren unser gegenwärtiges Handeln kritisch und übernehmen Verantwortung für die Zukunft. Unser Engagement gilt einer solidarischen, demokratischen und sozial gerechten Gesellschaft. Wir treten Ausgrenzung und autoritärem Denken entschieden entgegen und setzen uns für Menschlichkeit sowie die unbedingte Achtung der Menschenwürde ein.
Für eine solidarische, demokratische und sozial gerechte Gesellschaft.
Gegen Ausgrenzung und autoritäres Denken.
Für Menschlichkeit.
Bielefeld, im Mai 2025.