Jahrestagung 2024

„Wir sind (nicht) die Guten! Oder: Welches Mandat hat die Soziale Arbeit?“ – 09. bis 11. Mai 2024 im Haus Neuland (Bielefeld)

Inhaltliche Rahmung:
Eine sich stetig transformierende Welt fordert dazu heraus, das eigene Tun in den unterschiedlichen Handlungs- und Wirkungsbereichen immer wieder zu hinterfragen, es auch neu zu orientieren, um veränderten Verhältnissen gerecht werden zu können…

Für Soziale Arbeit charakteristisch ist ihr Handeln in sozialen Bezügen, die lokalen, regionalen, nationalen, aber auch globalen Einflüssen unterliegen. Mit ihren Praktiken setzt Soziale Arbeit in der Regel auf lokaler (bzw. kommunaler) Ebene an, zugleich ist sie in ihren ‚Beauftragungen‘ auch auf die anderen genannten Dimensionen verwiesen. Im Zuge professioneller Selbstreflexion müssen sich die in der Sozialen Arbeit Tätigen immer wieder die Fragen stellen: Tun wir das Richtige, ist unsere Arbeit den komplexen Verhältnissen angemessen, und für wen leisten wir diese Arbeit eigentlich?

Zur berufsethischen und -politischen Selbstvergewisserung wird nach Fluchtpunkten gesucht, die das eigene Tun, den eigenen Auftrag bzw. das eigene fachliche Mandat legitimieren (können). Dabei wird z.B. auf ‚Würde’ und ‚Anerkennung der Anderen‘ bzw. ‚Achtung allen Menschen gegenüber‘ Bezug genommen. Nicht zuletzt stellen die Menschenrechte einen markanten Bezugspunkt Sozialer Arbeit und ihrer Mandatierung(en) dar – so etwa mit der Rede von Sozialer Arbeit als ‚Menschenrechtsprofession‘. Zugleich wird gerade diese Bezugnahme auf Menschenrechte höchst kontrovers verhandelt – zeigen sich hier doch auch Ausblendungen (z.B. hinsichtlich einer eurozentrischen Wissensproduktion oder des ‚kolonialen Erbes’ Sozialer Arbeit) sowie die Gefahr einer ‚Romantisierung‘, gar ‚Heroisierung‘ Sozialer Arbeit.

Soziale Arbeit als ‚Menschenrechtsprofession‘ zu begreifen, kann in einer naiven Lesart bedeuten sich bereits ‚auf der richtigen Seite‘ zu wähnen. Dabei werden die widersprüchlichen Funktionen und durchaus auch problematischen Wirkungsweisen Sozialer Arbeit außer Acht gelassen.

Denn: ‚Wir sind nicht einfach die Guten!‘

Nicht nur für Praktiker:innen stellt sich die Frage: Was ist mein Mandat? – In Profession wie Disziplin(en) Sozialer Arbeit wird verhandelt, welche Mandate es braucht und welche Rolle sie in der und für die Soziale Arbeit spielen. An welchen grundlegenden Vorstellungen soll das sozialarbeiterische Handeln ausgerichtet werden? Welche Bedeutung kommt hierbei bestimmten theoretischen Grundlagen zu, welche den von vielen als ‚wichtig‘ und ‚richtig‘ erachteten Handlungskonzepten (die dann womöglich gar nicht mehr weiter hinterfragt werden)? Und welche Rolle spielen Moralvorstellungen, die – oft auch unbewusst – das Handeln nicht nur in Bezug auf die Adressat:innen mitbestimmen?

Die (kritischen) Diskurse um Mandatierung(en) bieten vielfältige Anknüpfungspunkte und Einhakmöglichkeiten im Hinblick auf Aufgaben, Funktionen und normative Orientierungen Sozialer Arbeit – und damit auch jede Menge Diskussionsstoff angesichts der alltäglich erlebbaren Spannungsfelder Sozialer Arbeit.

Die 83. Jahrestagung der Gilde Soziale Arbeit vom 09. bis 11. Mai 2024 will die Frage „Welches Mandat hat die Soziale Arbeit?“ aufgreifen und (selbst)kritisch verhandeln. Dazu dienen neben Impulsreferaten auch die methodisch vielfältig ausgestalteten Diskussions- und Austauschräume; so können eigene Erfahrungen in den jeweiligen beruflichen Zusammenhängen etwa in Fachforen diskutiert, ausgetauscht und (neu) ausgelotet werden und in den Workshops besteht die Möglichkeit themenspezifisch tiefer einzusteigen und neue Ideen und Ansätze auszuarbeiten.


Organisation, Anmeldung und Tagungspreise

Tagungsort
Haus Neuland, Bielefeld / Sennestadt
Senner Hellweg 493, 33689 Bielefeld
Telefon 05205 9126-0, Telefax 05205 9126-20
Email info@haus-neuland.de
www.haus-neuland.de

Tagungspreise:
Mehrbettzimmer Economy 252,00 €
(ALG II-, Sozialhilfe- und AsylbLG-Leistungsempfänger*innen sowie allein zahlende Studierende, die keinen anderen Zuschuss erhalten, können bei der Geschäftsführung der Gilde für das Mehrbettzimmer einen Zuschuss von 50€ beantragen)
Doppelzimmer Komfort 291,00 €
Einzelzimmer Komfort (nur begrenzt) 351,00 €
ohne Übernachtung 171,00 €
Für Kinder inkl. Verpflegung und Übernachtung auf Anfrage (Kinder bis 6 Jahre kostenfrei; Betreuungsbedarf bitte bei der Geschäftsführung der Gilde Soziale Arbeit e.V. anmelden)

Shuttle vom Bhf. Bielefeld-Sennestadt (pro Fahrt) 10,00 €

Mitglieder können bei der Geschäftsführung der Gilde einen Zuschuss von 21€ beantragen.

Anmeldung bitte bis zum Sonntag, den 14. April 2024 über Haus Neuland:
https://www.haus-neuland.de/bildung/details/seminar/gilde-soziale-arbeit-43807

Gilde Soziale Arbeit e.V.
c/o Sächsische Landjugend e.V.
Unterer Kreuzweg 6
01097 Dresden
Email: geschaeftsfuehrung@gilde-soziale-arbeit.de


PROGRAMM

Donnerstag, 09. Mai 2024

09:30Begrüßung: Prof.‘in i.R. Dr.‘in Susanne Maurer (Sprecherin des Gildeamtes)
Literarischer Moment: Andreas Borchert
Thematischer Schwerpunkt: Mandate
10:00-10:45Im Wust der Mandate – eine etwas andere Einführung
Mitglieder des Gildeamtes
10:45-11:15Murmelgruppen und offene Diskussion
11:15-12:00Das Mandat der Sozialen Arbeit!? (AT)
Prof.’in i.R. Dr.’in Maria Bitzan (Hochschule Esslingen)
12:00-12:30 Murmelgruppen und offene Diskussion
Mittagessen
Thematischer Schwerpunkt: Menschenrechte
14:00-15:00
(geänderte Zeit!)
Social Work and Human Rights – Interrogating Vestiges of Our Colonial Practice / Soziale Arbeit und Menschenrechte – Befragung der Spuren unserer kolonialen Praxis
Prof.‘in Dr.‘in Melinda Madew (EH Ludwigsburg)
16:00-18:00Menschenrechte als Legitimationsmuster sozialpädagogischen Handelns? Zwischenergebnisse eines Forschungsprojekts und Werkstattgespräch
Prof.‘in Dr.‘in Christine Wiezorek, Dr. Benjamin Bunk und Carl E. Kraatz (alle J.L. Universität Gießen)
Abendessen
19:30kulturelle Angebote der Teilnehmenden (adhoc vor Ort),
und Beginn der AG „Bielefelder Erklärung“
(Vorschläge gern vorab per Mail an geschaeftsfuehrung@gilde-soziale-arbeit.de)

Freitag, 10. Mai 2024

Thematischer Schwerpunkt: Diskurse
9:00Literarischer Moment: Andreas Borchert
9:15-10:15Unterdrückung mit Samthandschuhen? Postkoloniale > Perspektiven auf (gesellschaftliche Funktionen) Soziale(r) Arbeit
Jessica Eckhardt (Ostfalia HAW)
10:30-12:30Diskussionsforen zu verschiedenen Themen (Details am Ende der Seite):
Vom Missverständnis eines Mandats Sozialer Arbeit
Prof. i.R. Dr. Timm Kunstreich (Hamburg)
Der Bezug auf Menschenrechte – sozial erwünscht oder ernstzunehmendes Grundprinzip?
Maike Nadar (Kath. HS. NRW – Aachen)
Saloua Mohammed Oulad M’Hand (TH Köln)
Möglichkeiten und Grenzen abolitionistischer Perspektiven im Kontext der Sozialen Arbeit
Dr. Kevin Stützel (Goethe-Universität Frankfurt)
Dr. Julian Knop (Gastprof. ASH Berlin)
Sanfte Kontrolle und/oder emanzipative Praxis – (Selbst-)Beauftragungen in der aufsuchenden Straßensozialarbeit im Spannungsfeld neoliberaler Stadtentwicklung
Eva-Maria Becker (Aufs. Straßensozialarbeit & Housing First Gießen)
Soziale Arbeit als „Partnerschaft auf Augenhöhe“? Macht, Rollen und Mandate als Reflexionsebenen eines (problematischen?) Professionsverständnisses
Prof. Dr. Andreas Eylert-Schwarz (HSD Hochschule Döpfer)
Es kippt! – Klimawandel als Mandat für Soziale Arbeit und Sozialmanagement?!
Philipp Aldendorff (FH Münster)
Prof. Dr. Julian Löhe (Carleton University Ottawa / FH Münster)
Mittagessen
14:30-18:00Workshops zu verschiedenen Themen (Details am Ende der Seite):
Zukunftswerkstatt: „Wir sind die Guten und können alles.“
Henry Ulrich (BAG Soziale Stadtentwicklung und Gemeinwesenarbeit / MetrumBerlin gGmbH)
Marc David Ludwig (Promovend am Promotionskolleg NRW/ TH Köln, Fakultät für Sozialwissenschaften)
Der Ton macht die Musik
Franziska Leissenberger (Gilde Soziale Arbeit e.V.)
Familien(hilfe) und öffentlicher Raum
Prof. Dr. Andreas Polutta und Studierenden (Hochschule Esslingen)
Georg Horcher (Sozial- und Jugendamtsleiter i.R.)
Spuren von kolonialrassistischen Positionen und Bewegungen in der frühen Professionalisierung der Soziale Arbeit. Ein (selbst-)kritischer Blick auf Quellen aus dem (Wissens-)Archiv der Sozialen Arbeit
Mitwirkende des Forschungsprojektes „Soziale Arbeit als koloniales Wissensarchiv?! – Ein Geschichtslabor zum kolonialen Erbe in d. Soz. Arb.“
Jugendarbeit und das Mandat der Jugend
Tobias Burdukat (TH Nürnberg/ YOPE gGMBH Grimma)
„Ihr wisst doch alle, was Straße ist!“: Über Vorstellungen zur Situation junger wohnungs-/obdachloser Menschen und die Beauftragung und Aufträge, die sich für Soziale Arbeit ergeben
Rebecca Weber und Jasmin Knorr (beide: Projekt Momo – the voice of disconnected youth Essen)
Vertr. Prof.‘in Dr.‘in Daniela Molnar (P.-Universität Marburg)
Junge Menschen aus dem Projekt Momo – the voice of disconnected youth Essen
Abendessen
19:30Historische Perspektive:
Buchprojekt „100 Jahre Gilde Soziale Arbeit – Eine Reise durch die Geschichte(n) Teil 2“
Bianca Fiedler, Sarah Blume und Anne Reber (Hrsg.)

Samstag, 11. Mai 2024

Thematischer Schwerpunkt: Mandate aushalten und Gutes gestalten
9:00Literarischer Moment: Andreas Borchert
9:15-11:15“Das Theater (mit) der Sozialen Arbeit“
angeleitet durch Ao.Univ.-Prof. Mag. Dr. habil. Michael Wrentschur (InterACT, Universität Graz) und allen Teilnehmenden
11:30-12:00Verabschiedung und Ende der Tagung

Mitglieder-Versammlung am Mittwoch, 08. Mai 2024, um 19:30 (offen für alle Interessierten)
danach Gespräche am Kamin (Kennenlernen und Informationen)


Detailinformationen zu den Diskussionsforen:

Vom Missverständnis eines Mandats Sozialer Arbeit
Prof. i.R. Dr. Timm Kunstreich

Ob die Soziale Arbeit überhaupt ein Mandat in Anspruch nehmen kann, hängt u.a. davon ab, wie weit oder wie eng das Verständnis von „Mandat“ gefasst wird. Böhnisch und Lösch sahen das sehr kritisch: „Daß das doppelte Mandat auf der phänomenologischen Ebene vornehmlich als institutionalisierter Loyalitäts- und Rollenkonflikt erscheint …, sagt zwar etwas über die Rolle aus, die der Sozialarbeiter in unserer Gesellschaft zu spielen hat, nichts aber über den objektiven Charakter dieser Rollenhaftigkeit “ (1973(!): 28).

Sieht man sich den Hype um das „doppelte Mandat“ etwas genauer an (und erst recht den um das Tripel-Mandat), wird man zwei weitere “ ideologische Glättungen“ feststellen: zum einen das „Übersehen“ der schlichten, aber folgenschweren Tatsache, dass Sozialarbeit eben nicht „unentgeltlich“, sondern Lohnarbeit ist; zum anderen die damit verbundene Tendenz, sowohl die AdressantInnen als auch die Professionellen zu verdinglichen.

„Sozialarbeit muß an Ort und Stelle, die objektiven Handlungs- und Erfahrungschancen der Betroffenen vergrößern, will sie den Kreislauf der Verelendung durchbrechen“ (Negt 1978: 66). Entgegen den Tendenzen neoliberal verfasster, moderner Sozialarbeit, die individuelle Nachfragemacht einzelner Akteure (angeblich) zu stärken (z.B. in der „Elternnachfrage“ bei den Hilfen zur Erziehung, das persönliche Budget in der Behindertenhilfe oder mit der Kita-Card), wird eine Stärkung kollektiver Teilhabemacht die Handlungs- und Erfahrungsdomänen der Betroffenen und der Professionellen nachhaltig vergrößern. Das passiert überall dort, wo professionelle Interventionen als gelingende erlebt werden, nämlich dann, „wenn sie eine wichtige Bedeutung im solidarischen Beziehungsgeflecht der Sozialitäten“ erhalten (Kunstreich 2014b: 410, vgl. Langhanky 2001).

Böhnisch, L./Lösch, H. (1973): Das Handlungsverständnis des Sozialarbeiters und seine institutionelle Determination. In: Otto, H.-U./Schneider (Hrsg.): Gesellschaftliche Perspektive der Sozialarbeit. Zweiter Halbband. Neuwied/Berlin, S.21-40

Kunstreich, T. (2014): Grundkurs Soziale Arbeit. Sieben Blicke auf Geschichte und Gegenwart Sozialer Arbeit. Band 1; 2014a; Band 2, Bielefeld 2014b, beide unentgeltlich einzusehen oder herunterzuladen: www.timm-kunstreich.de

Langhanky, M. (2001): Ist Hilfe solidarisch? In: neue praxis, 31Jg., H.1, S. 77-82

Negt, O. (1978): Notizen zum Verhältnis von Produktion und Reproduktion. Am Beispiel des politischen Selbstverständnisses von Sozialarbeitern. In: Gaertner, A./Sachße, C. (Hrsg.), Politische Produktivität der Sozialarbeit. Frankfurt/M., S. 59-71

Der Bezug auf Menschenrechte – sozial erwünscht oder ernstzunehmendes Grundprinzip?
Maike Nadar & Saloua Mohammed Oulad M’Hand

Die Rede von Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession ist in aller Munde. Laut einer Studie aus dem Jahr 2019 stimmen dieser Aussage stimmen 91,4% der Sozialarbeiter:innen zu (vgl. Como-Zipfel, F., Kohlfürst, I. & Kulke, D. (2019): Welche Bedeutung hat Ethik für die Soziale Arbeit? Reihe: Soziale Arbeit kontrovers, Bd. 21. Freiburg: Lambertus, S. 26).
Im Kontrast dazu steht die scharfe Kritik Manfred Kappelers, der die Rede von der Menschenrechtsprofession als unangemessen bezeichnet, in dem er vorbringt, dass Soziale Arbeit bis heute ein Hauptort von Menschenrechtsverletzungen ist. Auch die Ergebnisse einer unveröffentlichten Studie von Nadar und Golais zur Rolle von Kinderrechten im Professionsverständnis von Sozialarbeiter:innen erhärtet den Verdacht, dass sich hinter diesem Zustimmungswert ein hohes Maß an sozialer Erwünschtheit verbirgt, denn Menschenrechte dienen Sozialarbeiter:innen oftmals zur Aufwertung und Bestätigung des professionellen Selbstverständnisses sowie der unreflektierten Selbstverortung auf der Seite des ‚Guten‘, wobei die Rede von Menschenrechten dabei inhaltsleer und folgenlos bleibt und eine kritische Reflexion und professionelle Weiterentwicklung erschwert wird.
Nichtsdestotrotz stellen Menschenrechte, als fundamentales Prinzip, zu dem sich Soziale Arbeit per definitionem selbst verpflichtet, einen wichtigen Maßstab dar. Im Verständnis der Vereinten Nationen arbeiten Menschenrechtsprofessionen sehr nah an und mit Menschen. Durch diese Nähe sowie die Ausstattung mit Wissen und Macht sind diese immer auch gefährdet und in der Lage, die Menschenrechte der Adressat:innen zu verletzen. Der Zusammenhang von Sozialer Arbeit und Menschenrechten ist vielschichtig und umfasst zahlreiche Anknüpfungspunkte, wie u.a. die gleichzeitige Perspektive auf das Individuum sowie auf Strukturen.
Im Rahmen des Workshops soll kritisch reflektiert werden, wie das Bekenntnis zu den Menschenrechten in der globalen Definition Sozialer Arbeit ,als fundamentalem Prinzip, für die Soziale Arbeit und ihre professionelle Praxis in den unterschiedlichen Arbeitsfeldern ausgestaltet werden kann, denn „Menschenrechte sind zugleich Vision und Maßstab, ein schon heute geltender Maßstab, den es jedoch immer wieder neu politisch umzusetzen gilt“ (Kerber-Ganse, 2009, S.29).

Referent:innen:
Maike Nadar, M.A., M.S.W.
Sozialarbeiterin, Katholische Hochschule NRW, Abt. Aachen, Lehrkraft für besondere Aufgaben; Promovendin an der FAU Erlangen/Nürnberg, Forschungsschwerpunkt: Soziale Arbeit & Menschenrechte.
Saloua Mohammed Oulad M H́ and, M.A.
Sozialarbeiterin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Hochschule Köln. Promovendin an der Universität zu Köln. Forschungsschwerpunkte: Soziale Arbeit und Ungleichwertigkeitsideologien, rassismuskritische politische Bildung.

Möglichkeiten und Grenzen abolitionistischer Perspektiven im Kontext der Sozialen Arbeit
Dr. Kevin Stützel & Dr. Julian Knop

Im Zuge der Diskussion um Rassismus und Polizeigewalt wurde in den letzten Jahren auch im deutschen Kontext vermehrt auf abolitionistische Perspektiven Bezug genommen. Ausgehend von antikolonialen und antirassistischen Bewegungen hat die Kritik an strafenden Institutionen, wie dem Gefängnis, der Polizei, oder Grenzregimen, eine neue Konjunktur erhalten. Auch in der Sozialen Arbeit wird vermehrt über die Möglichkeiten und Grenzen abolitionistischer Perspektiven diskutiert. Das Diskussionsforum beschäftigt sich damit, was unter Abolitionismus zu verstehen ist und welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sich zu bisherigen Thematisierungen von strafenden Institutionen zeigen. Das Diskussionsforum setzt sich außerdem damit auseinander, welche Rolle auf Bestrafung ausgerichtete Logiken in unterschiedlichen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit einnehmen. Abschließend wird diskutiert, welche Alternativen zu strafenden Systemen und Logiken aus abolitionistischer Perspektive denkbar sind und welche Herausforderungen sich hieraus für die Soziale Arbeit ergeben.
Dr. Kevin Stützel, Goethe-Universität Frankfurt
Dr. Julian Knop, Gastprofessor ASH Berlin

Sanfte Kontrolle und/oder emanzipative Praxis – (Selbst-)Beauftragungen in der aufsuchenden Straßensozialarbeit im Spannungsfeld neoliberaler Stadtentwicklung
Eva-Maria Becker

Die Umstrukturierung öffentlicher Räume im Kontext neoliberaler Stadtentwicklung bedeutet in ihrer Konsequenz die fortschreitende Verdrängung von nicht kaufkräftigen oder anderweitig nicht den herrschenden Normalitätsvorstellungen entsprechenden Menschen aus den Innenstädten. Diese Entwicklungen im städtischen Raum betreffen und adressieren, im Rahmen von sicherheits- und ordnungspolitischen Forderungen, gleichwohl die Praxis Sozialer Arbeit und stellen Konzepte ursprünglich emanzipativ-parteilicher Streetwork vor konzeptionelle Herausforderungen.

Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession, wie sie von Staub-Bernasconi skizziert wird, soll sich als politisch unabhängig und allein sich selbst verpflichtet, verstehen. Doch greift die Beauftragung der Sozialen Arbeit als Menschenrechtsprofession für die aufsuchende Straßensozialarbeit in ihrer aktuellen Ausgestaltung zu kurz? Angebote aufsuchender Straßensozialarbeit, wie sie heute in den meisten Städten und Kommunen konzeptualisiert und finanziert sind, stehen unter Druck von (un-)ausgesprochenen staatlich-ordnungspolitischen Intentionen und Aufträgen. Damit kommt auch aufsuchende Soziale Arbeit aus dem Dilemma diverser (Selbst-)Beauftragungen nicht raus: „als staatliche Praxis kann aufsuchende Soziale Arbeit […] nicht auf ihre sozialstaatlich unterstützenden Funktionen reduziert werden, sondern muss immer in ihrer konstitutiven ordnungspolitischen Bedeutung mitgedacht werden“ (Diebäcker/Wild 2020, S.14). Insofern läuft ein rein positivistisches Verständnis Sozialer Arbeit als ausschließliche Menschenrechtsprofession Gefahr diese „kontrollierenden, normierenden und ordnenden Anteile aufsuchender Sozialer Arbeit“ sowie „das Involviert-Sein in komplexere raumregulierende Arrangements“ (Diebäcker 2019, S.542) auszublenden.

Es wird deutlich, dass Angebote aufsuchender Sozialer Arbeit von ganz unterschiedlichen Mandatsvorstellungen adressiert werden und sich damit komplexen Gemengelagen von emanzipativen Ansprüchen und ordnungspolitischen Aufträgen bewegen. Im Rahmen dieses Workshops sollen diese angerissenen Ambivalenzen und Dilemmata zunächst herausgearbeitet und anschließend gemeinsam vor dem Hintergrund spezifischer (Selbst-)Mandatierungen zur Diskussion gestellt und weiterführend entlang verschiedener Fragestellungen reflektiert werden.

Literatur:
Diebäcker, M.; Wild, G. (2020): Aufsuchende Soziale Arbeit im öffentlichen Raum. Zur strategischen Einbettung einer professionellen Praxis. In: Diebäcker, M.; Wild, G. [Hg.] Streetwork und Aufsuchende Soziale Arbeit im öffentlichen Raum, S. 1–19. Wiesbaden: Springer VS.

Diebäcker, M. (2019): Aufsuchende Soziale Arbeit. In: Kessl, F.; Reutlinger, C. [Hg.]: Handbuch Sozialraum. Grundlagen für den Bildungs- und Sozialbereich, S. 539–556. Wiesbaden: Springer VS.

Eva-Maria Becker, Sozialpädagogin (M.A.), Aufsuchende Straßensozialarbeit & Housing First Gießen

Soziale Arbeit als „Partnerschaft auf Augenhöhe“? Macht, Rollen und Mandate als Reflexionsebenen eines (problematischen?) Professionsverständnisses
Prof. Dr. Andreas Eylert-Schwarz

„Ich pflege mit meinen Klient*innen ein partnerschaftliches Verhältnis“, „Ich begegne den Kindern und Jugendlichen auf Augenhöhe und lasse sie gleichberechtigt partizipieren“, „Partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Eltern ist mir wichtig“… diese und ähnliche Sätze hört man in der Praxis immer wieder. Es entsteht der Eindruck, dass dadurch eine professionelle Distanz negiert, verringert oder behindert wird und ein Selbstbild vom „freundschaftlichen/gleichberechtigten Verhältnis“ kultiviert wird.

Im reflexions- und kommunikationsorientierten Workshop soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit diese Selbstzuschreibungen passend sind bzw. wo Mandate, Rollen und unterschiedliche Machtressourcen eine Zusammenarbeit „auf Augenhöhe“ be- oder verhindern. Können Klient*innen, Angehörige, Väter/Mütter… unsere „Partner*innen“ sein und falls ja, was bedeutet dann „Partnerschaft“ für uns?

Wie sieht eine möglichst gleichberechtigte, hierarchiearme und machtreflektierte Zusammenarbeit innerhalb der Sozialen Arbeit aus? Welche Begriffe oder Selbstzuschreibungen sind evtl. besser geeignet als die der „Partnerschaft auf Augenhöhe“?

In einem offenen Forum sollen diese und weitere Fragen diskutiert und gemeinsam reflektiert werden. Bestenfalls entstehen am Ende Reflexionsfragen für die Praxis und Vorschläge für die Formulierung einer geeigneteren Selbstzuschreibung von Fachkräften der Sozialen Arbeit.

Prof. Dr. phil. Andreas Eylert-Schwarz, Professor für Soziale Arbeit, Studiendekan BA Soziale Arbeit Potsdam, Regensburg und Köln, HSD Hochschule Döpfer

Es kippt! – Klimawandel als Mandat für Soziale Arbeit und Sozialmanagement?!
Philipp Aldendorff & Prof. Dr. Julian Löhe

Der Klimawandel wird vielfach als soziales Phänomen gefasst, denn er wird durch anthropogene Treibhausgasemission verursacht. Vor dem Hintergrund der sozialen Dimension des Klimawandelns entsteht die Frage, ob sich Soziale Organisationen im Rahmen eines normativen und ethischen Managements nicht nur daran messen lassen müssen, welchen Nutzen eine Organisation für die Soziale Arbeit hat. Vielmehr auch, welche Kosten dabei für die Umwelt entstehen (vgl. Löhe/Aldendorff 2022, S. 19).

Diese Frage wird virulenter, denn: Es kippt! Im ESCIMO-Klimamodell ist der Point-of-no-Return für die globale Erderwärmung bereits überschritten (vgl. Randers/Goluke 2020). Kipppunkt heißt es deswegen, weil die Erderwärmung eine Kettenreaktion von Folgen nach sich zieht (zu den Folgen siehe bspw. Leopoldina 2021). Vom Eintreten dieser Folgen muss aktuell ausgegangen werden. Deshalb ist es wichtig, die anthropogenen Emissionen zu reduzieren (Mitigation). Gleichzeitig müssen intensiv Anpassungsmaßnahmen in den Blick genommen werden (Adaption) (vgl. Hashemi 2016). Daraus ergeben sich zwei konkrete Herausforderungen für Soziale Organisationen und die Soziale Arbeit:

1) Ressourcenverbrauch
Eine steuerungsrelevante Kategorie für Soziale Organisationen? (Mitigation)
2) Klimawandel als Dilemma für die Soziale Arbeit
Soziale Arbeit setzt sich für benachteiligte Personengruppen ein. Diese sind wiederum von den Folgen des Klimawandels besonders betroffen (während sie gleichzeitig aufgrund ihres sozioökonomischen Status in der Regel wenig(er) Emissionen ausstoßen). Bei gleichzeitiger Notwendigkeit zur Reduktion von Ressourcen wächst damit die Zahl der Adressat:innen (Vgl. Liedholz 2021, S. 55ff.). Die Notwendigkeit mit weniger Ressourcen eine größere Gruppe Menschen zu adressieren bringt Soziale Organisationen in ein
Dilemma. Es stellt sich die Frage, wie (kann) die Soziale Arbeit darauf reagieren?! (Adaption)

Literatur:
Löhe, J./Aldendorff, P. (2022): Grundlagen zum Sozialmanagement. Zentrale Begriff und Handlungsansätze. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Vgl. Randers, J./Goluke, U. (2020): An earth system model shows self‑sustained thawing of permafrost even if all man‑made GHG emissions stop in 2020. Online:
https://www.nature.com/articles/s41598-020-75481-z#citeas (Stand: 20.11.2023)
Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina e.V. (2021): Klimawandel: Ursachen, Folgen und Handlungsmöglichkeiten. Online:
https://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/2021_Factsheet_Klimawandel_web_01.pdf (Stand: 20.11.2023)
Hashemi, A. (2016): Climate Change. Mitigation und Adaption. ZEMCH 2016. Basel: MDPI.
Liedholz, Y. (2021): Berührungspunkte von Sozialer Arbeit und Klimawandel. Opladen, Berlin, Toronto: Barbara Budrich.

Philipp Aldendorff, M.A., Wissenschaftlicher Mitarbeiter FH Münster
Prof. Dr. Julian Löhe, Carleton University Ottawa (Kanada)/ FH Münster, Leiter Masterstudiengang Sozialmanagement, Professor für Organisation und Management in der Sozialen Arbeit


Detailinformationen zu den Workshops:

Zukunftswerkstatt: „Wir sind die Guten und können alles.“
Henry Ulrich & Marc David Ludwig


Seit du Soziale Arbeit machst, mutest du dir zu viel zu. Erst möchtest du Menschen helfen, dann sie befreien, dann nebenher noch ein bisschen therapieren, Traumata heilen und die Stadtentwicklung soll auch noch allen dienen.

In dieser Zukunftswerkstatt hast du nun die Möglichkeit, dein Helf_syndrom, all deine Ansprüche und
emphatischen Ideale an emanzipatorische Bildung und Pädagogik zu einer Lösung zu vereinen.
Wir folgen dem secret pleasure einer jeden Selbstmandatierung und erheben die Soziale Arbeit zur Ideologie, zur Sammelbewegung, zur Trägerin revolutionärer Bestrebung. Wie sähe es hier aus, wenn wir uns durchgesetzt hätten?
Ein Appell für fröhliche Wissenschaft, eine Einladung zum selbstironischen Träumen. Mit Inputs zu:
Syndikalismus, sozialarbeiterischer Kommunalpolitik, IFSW-Definition, Transformative Gerechtigkeit und
kreativen Abrechungsmethoden.

Henry Ulrich, BAG Soziale Stadtentwicklung und Gemeinwesenarbeit, MetrumBerlin gGmbH

Marc D. Ludwig, Promovend am Promotionskolleg NRW/ TH Köln, Fakultät für Sozialwissenschaften & Mitglied im Vorstand der BAG Soziale Stadtentwicklung und Gemeinwesenarbeit sowie Mitglied im Geschäftsführenden Vorstand, Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e. V. (DBSH)

Der Ton macht die Musik
Franziska Leissenberger


Vor dem Hintergrund der im Open Call aufgeworfenen Frage „Welches Mandat hat die Soziale Arbeit“ wird sich dieser Workshop der Frage metaphorisch annähern.

Im Vordergrund geht es um eine differenzierte Auseinandersetzung mit den (vermeintlichen) Beauftragungen in der Sozialen Arbeit. Der Metapher folgend geht es darum zu erkunden, welche Beauftragungen (gerade) den Ton angeben, zu welchen (Dis-)Harmonien diese führen und welchen Nachhall diese erzeugen.

Folgenden Fragen soll sich gemeinsam mit den Workshopteilnehmer*innen reflexiv angenähert werden:

  1. Welche Töne sind wohlklingend? Wie „passend“ sind diese zu meiner individuellen Melodie, meinem Selbst- und Weltverhältnis? Ergibt sich ein harmonisches Zusammenspiel?
  2. Welche Töne klingen „schief“? Welche „falschen“ Beauftragungen geben den Ton an?
  3. Für wen ist das Konzert? Ist meine Disharmonie auch die deine? Können die „schiefen“ Töne dennoch kunstvoll in ein Zusammenspiel integriert werden? Oder dürfen sie vielleicht auch einfach sein?

Es geht also explizit um eine reflexive, biographische Bearbeitung der individuellen Selbst- und Weltbilder, die damit verbundenen Normen und Werte sowie um die Frage, welche Bedeutung diesen für (auch fachliche) Handlungsentwürfe zukommt. Ziel ist es, einerseits gemeinsam zu reflektieren, welche biographischen Erfahrungen die eigenen fachlichen Vorstellungen prägen und durch den Austausch und die Diskussion zu neuen Perspektiven und einer Vergrößerung (gedanklicher) Handlungsspielräume zu gelangen. Das Anliegen ist dabei weniger innovativ als vielmehr pragmatisch gedacht und daran orientiert, dass es neben der individuellen Auseinandersetzung und Reflexion insbesondere Formate des gemeinsamen Austauschs und Weiterdenkens sind, die im (beruflichen) Alltag fehlen. Der Workshop kann dazu einen Rahmen bieten, insbesondere für diejenigen, die Spaß daran haben, sich metaphorisch auf das Thema einzulassen.

Franziska Leissenberger, M.A., Mitglied Gilde Soziale Arbeit e.V., Doktorantin TU Dresden

Familien(hilfe) und öffentlicher Raum
Prof. Dr. Andreas Polutta, Georg Horcher und Studierenden


…ist noch in Arbeit.

Spuren von kolonialrassistischen Positionen und Bewegungen in der frühen Professionalisierung der Soziale Arbeit. Ein (selbst-)kritischer Blick auf Quellen aus dem (Wissens-)Archiv der Sozialen Arbeit
Mitwirkende des Forschungsprojektes „Soziale Arbeit als koloniales Wissensarchiv?! – Ein Geschichtslabor zum kolonialen Erbe in der Sozialen Arbeit“ (für die Gruppe der Referierenden bitte aufklappen)


Der Workshop begibt sich auf Spurensuche in die Zeit der frühen Sozialen Arbeit und stellt kritische Fragen an die eigene Professionsgeschichte: Welche Verbindungen lassen sich zwischen der Sozialen Arbeit und den kolonialen Bestrebungen um 1900 rekonstruieren? Wie prägten koloniale Narrative das Selbstverständnis der sich entwickelnden Sozialen Arbeit – methodisch/handlungspraktisch aber auch der Theorieentwicklung? In welcher Weise waren Pionierinnen der Sozialen Arbeit und der bürgerlichen Frauenbewegungen mit den kolonialen Ideologien und Projekten verstrickt? Welche Rolle spielten Institutionen wie bspw. die Kolonialfrauenschulen in diesem Zusammenhang? Und nicht zuletzt: Welche Irritationen und Erschütterungen kann dieser selbstkritische Blick in die eigene Geschichte für unser heutiges Selbstverständnis von Profession und Disziplin bedeuten?

CN: In diesem Workshop werden wir uns mit Quellen beschäftigen, die teils sehr rassistisch und gewaltvoll sind. Den Umgang hiermit werden wir zu Beginn des Workshops thematisieren.

Louise Mbakop (PU-Marburg), Wiebke Dierkes (Prof.’in Dr.’in), Sara Milani (Stud. BA-SozA), Christopher van der Struijs (Stud. BA-SozA) (alle Hochschule RheinMain Wiesbaden), Z. Ece Kaya (Dr.’in Universität Hildesheim), Dayana Lau (Dr.’in), Isa-Lia Zeh-Sá (Stud.), Maex Kühnert (Stud) (alle ASH Berlin), Lucie Howaldt (Stud. PFH Berlin)

Jugendarbeit und das Mandat der Jugend
Tobias Burdukat


Mindestens seit den 1970iger Jahren beginnen Bücher, Sammelbände oder Studien die sich mit Jugend beschäftigen mit diesem oder einem sehr ähnlichen Satz: „Jugend als Phase im Lebenslauf, oder Lebensphase, hat sich in den letzten Jahrzehnten tiefgreifend verändert.“ Danach führen die jeweiligen Autor*innen dann immer wieder neu aus, welche Veränderungen sie festgestellt haben und wie sich Jugend, ihrer Ansicht nach, verändert hat. Auf diese „Veränderungen“ reagiert Soziale Arbeit mit immer neu entstehenden Handlungskonzepten. Doch es stellt sich hierbei die Frage ob diese Veränderungen schlussendlich nur die Reaktion und Folge einer sich stetig wandelnden Gesellschaft und der damit verbundenen Veränderungen der Macht- und Herrschaftsverhältnisse darstellt.

Jugend verstanden als Form der Vergesellschaftung (vgl. Burdukat 2022, S. 76f) und als immanenter Emanzipationsprozess steht den bestehenden Verhältnissen entgegen und verlangt nach einer immer neuen Einschreibung und Verhandlung von Gleichheit der Jugend gegenüber den Erwachsenen. Dies ist im Sinne von Jacques Rancière die ständige Verifizierung von Gleichheit, welche die Grenze der bisherigen Gleichheit immer wieder neu definieren und aushandeln muss (Jacques Rancière in Genel und Deranty 2021, S. 122).

Dadurch entsteht ein konflikthafter und widersprüchlicher Auftrag für die Jugendarbeit als Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit, der nach einer neuen Verständigung über das Mandat und vor allem der Rolle von Jugendarbeit verlangt. Jugendarbeit verstanden als eine Begleitung von Emanzipationsprozesse gerät bei der Wahrung eines doppelten Mandates in einen Rollenkonflikt zwischen der Herrschaft der Erwachsenen und der Emanzipation von Jugend. Im wesentlichen entsteht eben dieser Konflikt aus der Tatsache das Jugendarbeit als Arbeitsfeld von Sozialer Arbeit verstanden wird. In der Historie von Jugendarbeit tauchen immer auch Ideen auf, welche sich einzig der Jugend und damit der Emanzipation verpflichtet fühlten.

Diese Rolle und das damit verbundene Mandat zu diskutieren soll Inhalt des Workshops sein, wodurch eine neue Perspektive für das Arbeitsfeld der Jugendarbeit entstehen kann.

Literatur:
Burdukat, Tobias (2022). „Herrschaft vs. Emanzipation: Raubt die Theorielosigkeit von Jugendarbeit, im
Kontext Sozialer Arbeit, ihr die Kraft?“ Masterarb. Leipzig.
Genel, Katia und Jean-Philippe Deranty, Hrsg. (2021). Axel Honneth – Jacques Rancière: Anerkennung oder
Unvernehmen? 1. Auflage. Berlin: Suhrkamp.

Tobias Burdukat, TH Nürnberg, YOPE gGMBH Grimma

„Ihr wisst doch alle, was Straße ist!“: Über Vorstellungen zur Situation junger wohnungs-/obdachloser Menschen und die Beauftragung und Aufträge, die sich für Soziale Arbeit ergeben
Rebecca Weber und Jasmin Knorr & Vertr. Prof.‘in Dr.‘in Daniela Molnar


Der Workshop nimmt eine Äußerung eines jungen Erwachsenen auf der Straßenkinderkonferenz 2023 zum Anlass, Aufträge und Beauftragungen der Sozialen Arbeit und für Soziale Arbeit kritisch zu reflektieren: „Ihr wisst doch alle, was Straße ist!“. Diese Äußerung macht deutlich, dass ‚wir‘ alltäglich meinen zu wissen, was ‚Straße‘ sei, zugleich von einem geteilten Wissen zu ‚Straße‘ ausgehen. Was ‚Straße‘ bedeutet, unterscheidet sich jedoch, je nachdem, ob man bspw. über eine Straße geht oder die Straße als Ort des (Über-)Lebens erlebt. Wir werfen also, abhängig von Standpunkt und Ausrichtung unserer Wahrnehmung, unterschiedliche Blicke auf ‚Straße‘. Durch die damit verbundenen (Problem-)Deutungen wird der Umgang mit jungen wohnungs-/obdachlosen Menschen in Sozialer Arbeit und darüber hinaus mitbestimmt. Im Blick zu sein, in den Blick genommen zu werden, ist unabdingbar, um Teil eines Diskurses über die Gestaltung des Sozialen zu sein; aus dem Blick zu geraten, kann Soziale Arbeit gefährden – was aber nicht zu grenzenloser Inblicknahme berechtigt.

Zunächst werden Überlegungen aus theoretisierender und praktischer Perspektive zu den Themenkomplexen (pädagogisch/es) Wissen, (pädagogische) Blicke und (pädagogische) Grenzen und Begrenzungen vorgestellt. Anschließend werden Zitate und Erlebnisberichte von jungen Menschen, die Erfahrung mit Wohnungs-/Obdachlosigkeit gemacht haben, zum Anlass genommen, um Vorstellungen zur Situation dieser jungen Menschen zu reflektieren. Auf dieser Grundlage werden Aufträge und Beauftragungen, die sich für Soziale Arbeit ergeben, diskutiert und den Ausgestaltungen der Hilfen für junge wohnungs-/obdachlose Menschen gegenübergestellt. Besonders wird dabei auf das partizipativ und akzeptierend ausgerichtete Projekt ‚Momo – the voice of disconnected youth‘ eingegangen.

Rebecca Weber und Jasmin Knorr, beide: Projekt Momo – the voice of disconnected youth Essen
Vertr. Prof.‘in Dr.‘in Daniela Molnar, P.-Universität Marburg

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